Foto: Jürgen Borris

Wo der Birkhahn balzt

Die Lüneburger Heide ist einzigartig in Deutschland, auch dank ihrer atemberaubenden Landschaft, die eine reiche Flora und Fauna beherbergt.


Text: Anke Benstem und Iris Schaper mit Fotos von Jürgen Borris

Nachtfrost hat das Heidekraut mit Raureif überzogen, und in seinem Tarnzelt wartet Naturfotograf Jürgen Borris. Endlich, kurz vor der Dämmerung, wird er belohnt: Ein Purren ertönt, dann ein Gluckern. Das Geräusch trägt weit in dieser flachen Landschaft. Es sind die Birkhähne, die auf den Balzplatz einfallen. Sie kullern, ducken sich, fauchen und richten sich wieder auf. In den Bäumen hocken derweil die unscheinbaren Weibchen, um sich das Schauspiel anzusehen und den prächtigsten Hahn auszuwählen. Eine Stunde nach Sonnenaufgang verlassen die Streithähne die Arena wieder, Stille legt sich über die Heide. „Dieses morgendliche Naturschauspiel ist eines der schönsten in der Lüneburger Heide“, sagt Borris. „Die Eindrücke belohnen für das lange Warten in der Kälte.“ Der Meinung ist auch Julia Hallmann vom Verein Naturschutzpark (VNP), der gleich nach seiner Gründung 1909 begann, die letzten Heideflächen aufzukaufen. Wenn im ausgehenden Winter die Tage länger werden, führt der Verein die jährliche Monitoringzählung des Birkwildes durch, um zu erfahren, wo sich die Tiere bevorzugt aufhalten – Freiwillige sind dabei willkommen. Seitdem wissen die Naturschützer, dass Birkhühner abgebrannte Heide- und Sandflächen bevorzugen, weswegen kontrolliert Heidebereiche abgebrannt und gezielt offene Sandflächen angelegt werden. Außerdem schafft der VNP lichte Wald-Heide-Übergänge, die die Birkhühner ebenfalls gern aufsuchen und sorgt dafür, dass die Fressfeinde der Bodenbrüter wie Füchse, Dachse und Wildschweine gezielt bejagt werden. „Menschen sollten sich aber nie auf eigene Faust auf den Weg machen und dabei eventuell das Birkwild stören“, sagt Hallmann. Denn Birkhühner sind scheu, und die Population in der Lüneburger Heide, die größte Deutschlands außerhalb der Alpen, ist zu wertvoll, um sie durch unvorsichtige Beobachter zu stören. Aber auch hier wird das Birkwild wie fast überall in Mitteleuropa, immer seltener. Der Bestand ist von 3.000 Tieren vor 30 Jahren auf heute nur noch etwa 200 geschrumpft – immerhin bleibt die Zahl der Hähne und Hennen seit einigen Jahren konstant, auch dank der Anstrengungen des VNP. 

Fotograf Jürgen Borris faszinieren auf seinen Streifzügen durch die Lüneburger Heide nicht nur die Birkhühner. Noch immer erstaunt es ihn, dass ausgerechnet in einer menschengemachten, alten Kulturlandschaft eine so große Vielfalt an natürlichem Leben zu finden ist. Ist das nicht ein Widerspruch in sich? „Das habe ich anfangs auch geglaubt”, sagt er. „Doch dann wurde ich während eines Familienurlaubes eines Besseren belehrt und habe mich in diese Landschaft verliebt.“ Aufnahmen von seltenen Pflanzen sind ihm gelungen und von Tieren wie Seeadler und Kranich, Rotwild und Wolf – zu bestaunen in seinem prächtigen Bildband. 

Seit jeher übt die Heide eine Faszination auf die Menschen aus. Schon der berühmte Heidedichter Hermann Löns schrieb: „Lass deine Augen offen sein, geschlossen deinen Mund und wandle still, so werden dir geheime Dinge kund.“ In der Tat ist die Heidelandschaft in Niedersachsen einzigartig in Deutschland. Die sanft gewellte Heide ist das Ergebnis dreier Kaltzeiten, über Hunderttausende von Jahren geschaffen. Ihre Schmelzwässer schufen Urstromtäler und Schmelzwasserrinnen und brachten große Mengen Geschiebe ins mitteleuropäische Tiefland, die Grundlage der nährstoffarmen Sandböden der Lüneburger Heide. Schon seit knapp 5.000 Jahren nutzt der Mensch diese karge Altmoränenlandschaft: Durch Brandrodung wich der ursprünglich natürlich vorkommende Hainsimsen-Buchenwald kleineren Äckern, deren Nutzungsdauer wegen ihrer Nährstoffarmut allerdings begrenzt war, weswegen immer neue Äcker erschlossen wurden. Auf den alten ließ man Heidschnucken weiden, anspruchslose Schafe, die nachwachsende Bäume verbissen, und so entwickelte sich auf den versteppenden Geestflächen eine Tieflandheide. Wer der traditionellen Heidebauernwirtschaft nachspüren möchte und das charakteristische Heidedorf schlechthin kennenlernen möchte, der kommt um das autofreie Wilsede mit dem 169 Meter „hohen“ Ilseder Berg nicht herum. Als Inbegriff der Heide gilt vielen der Totengrund – vor allem im August, wenn die Heideblüte die Landschaft mit einem lila Teppich überzieht. Zwei Millionen Besucher lockt vor allem dieses Schauspiel jedes Jahr. Heute zählen die 5.100 Hektar umfassenden trockenen Sandheiden zu den größten zusammenhängenden in Westeuropa. 

Nicht überall in der Heide geht es beschaulich zu: Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönt, gefolgt von immer lauterem Dröhnen. Panzer wälzen sich vorüber, wirbeln dunkle Staubwolken auf, der Boden bebt. Noch Minuten später liegt ein dunkler Staubschleier in der Luft. Der NATO-Truppenübungsplatz Bergen ist mit 284 Quadratkilometern einer der größten Schießplätze Europas, der Truppenübungsplatz Munster ist ebenfalls riesig. Natur und Militär direkt nebeneinander, geht das? In der Lüneburger Heide leben fast 200 Vogel-, acht Fledermaus- und zahlreiche Fischarten wie das in seinem Bestand stark gefährdete Bachneunauge, dazu Reptilien und Amphibien wie Ringelnatter, Kreuzotter und Feuersalamander. Viele von ihnen kommen verblüffenderweise auch und gerade auf den Truppenübungsplätzen vor. Die Natur entfaltet sich, wenn der Mensch von bestimmten Flächen konsequent ausgeschlossen ist – abgesehen vom Militärbetrieb bleiben Tiere und Pflanzen hier ungestört von Industrie, Landwirtschaft, Straßenverkehr und Tourismus. Lebensräume entwickeln oder regenerieren sich ihrer natürlichen Dynamik folgend. Da bleiben etwa knorrige Kiefern als Totholz stehen und bieten so nicht nur Insekten Lebensraum, sondern auch den scheuen Schwarzstörchen Brutplätze. Scheinbar völlig ungerührt laufen Wildschweine und Rotwild durch die Schießbahn – eine erstaunliche Koexistenz. Der Schießplatz Bergen beherbergt eine stabile Birkhuhnpopulation, ist aber unzugänglich. Allenfalls entlang der Straße von Meißendorf in Richtung Ostenholz lässt sich nach Norden hin ein Blick darauf werfen. Allerdings ahndet die patroullierende Militärpolizei oft selbst das Parken am Straßenrand. Deswegen lohnt ein Abstecher zur Panzerschießbahn 7B. 900 Meter hinter dem Ortsausgangsschild von Meißendorf passiert man eine Abzweigung nach „Bergen“. 3,7 Kilometer nach diesem Abzweig steht auf der rechten Seite ein Gebäude mit der Aufschrift „7B“ und liegt die Einfahrt zur Schießbahn. Dort sollte man in gebührendem Abstand zur Schranke parken und den Blick auf die Schießbahn richten – der Schranke aber nicht zu nahe kommen. 

Friedlicher geht es im Moor zu: Wollgras weht, weißen Federn gleich, im Wind, in der Ferne schreit heiser ein Vogel. Nebelschleier schweben frühmorgens wie Elfen über dem Wasser, bis sich intensiv orange die Sonne durch den frühmorgendlichen Dunst schiebt. Sonnentau, Rosmarin- und Glockenheide, Krähenbeeren und Gelbe Moorlilie sind nur einige der zum Teil hoch spezialisierten Pflanzen, die in den Mooren vorkommen. Nur etwa einen Millimeter wächst ein Hochmoor im Jahr in die Höhe, und Moore wie dieses sind selten geworden, denn jede scheinbar noch so kleine Veränderung im sensiblen Naturgefüge bedeutet einen Eingriff. Der Torfabbau gehört zu den gravierendsten Maßnahmen, bis heute geben die aufgelassenen „Pütten“, offene Wasserflächen im Moor, Zeugnis von der Ausbeutung des Moores. Das Pietzmoor bei Schneverdingen ist das größte zusammenhängende Hochmoor, dessen bis zu siebeneinhalb Meter dicke Torfschicht sich wie ein Uhrglas über den umgebenden Grund wölbt. Erst vor gut 40 Jahren begann man damit, die Moorflächen wiederzuvernässen. Als einer der wichtigsten Naturschätze Europas gehört das Pietzmoor heute zum europaweiten Schutzgebietsnetz „Natura 2000” – und ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, durch das befestigte Bohlenwege führen, ein Naturerlebnispfad informiert über die Tiere und Pflanzen. Nicht nur seltene Pflanzen, Insekten und Amphibien zieht das Moor an, auch geflügelte Majestäten wie der Kranich sind auf die Nähe von Feuchtgebieten angewiesen. Der Kranich nutzt die Flachwasserzonen – nachts schläft er dort, knietief im Wasser stehend – und ist so bestens vor kleinen Prädatoren wie dem Fuchs geschützt. Im zeitigen Frühjahr, wenn sich der Winter mit seinen letzten Nachtfrösten noch immer gegen den Frühling aufbäumt, ist nicht nur die Balz der Birkhähne ein großes Naturschauspiel in der Heide: In dieser Zeit kommen auch die Kraniche aus ihren Winterquartieren zurück und künden im Formationsflug vom Beginn der warmen Jahreszeit. Für sie waren die letzten Jahrzehnte eine Erfolgsgeschichte: Einst stand die Art auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten: In den 1970er Jahren gab es nur noch zehn Brutpaare in ganz Niedersachsen, heute sind es wieder an die 800. Der Vogel des Glücks erobert immer neue Lebensräume und besetzt inzwischen jedes denkbare Brutrevier. Wenn die Kraniche zum Brüten zurückkehren, sitzt der Seeadler bereits auf seinen Eiern. Auch er ist wieder in der Heide heimisch. Das Nahrungsangebot an Fischen und Wasservögeln in den Mooren, Seen und Flüssen bedeutet für ihn ganzjährig einen reich gedeckten Tisch und anders als der Kranich überwintert er hier. Dabei sah die Lage für den großen Adler noch viel dramatischer aus als für den Kranich. 1974 galt er in Niedersachsen als ausgestorben. Mutwillige Abschüsse und Vergiftungen mit Pflanzenschutzmitteln hatten seinen Bestand dahinschwinden lassen, alte Bäume für den Horstbau fehlten. Das Verbot des Pflanzenschutzmittels DDT und anderer schädigender Pestizide hat wahre Wunder bewirkt – heute gibt es wieder über 30 Paare in Niedersachsen, darunter mehrere in der Heide. „Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass auch das Birkhuhn bald eine ähnliche Erfolgsgeschichte erleben darf“, sagt Jürgen Borris. Chancen auf Birkhuhnsichtungen bestehen außer am Schießplatz Bergen etwa im autofreien Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“, und auch Große Brachvogel und Bekassinen kann man in den größten zusammenhängenden Heideflächen Mitteleuropas beobachten. Generell bestehen in der Südheide zudem gute Chancen, Greifvögel zu sehen, zum Beispiel an den Meißendorfer Teichen, wo ein in der Nähe auf dem Truppenübungsplatz brütendes Seeadlerpaar jagt und auch regelmäßig Jungadler zu sehen sind. Außerdem lassen sich hier Eisvögel und Heidelerchen beobachten, Wachtelkönig, Drosselrohrsänger und andere Seltenheiten sind Brutvögel. Auch der Fischadler horstet in der Umgebung und ist mit Glück an den Teichen bei seinem spektakulären Fischfang zu beobachten. Außer See- und Fischadler sind in der Umgebung der Teiche regelmäßig große Raritäten zu sehen – das Gebiet gehört zu einem der besten Beobachtungsplätze für Greifvögel und Schwarzstörche in Deutschland. Von April bis Juli sind Schlangen- und Zwergadler, im Mai Rotfußfalken, im Sommer Schreiadler und immer wieder mal Steppenweihen zu sehen. Der wohl beste Ort ist der aufgeschüttete Aussichtshügel im Ostenholzer Moor nordwestlich der Teiche, von wo aus Greife und Schwarzstörche bei guter Thermik zwischen 10 und 15 Uhr beobachtet werden können. Erreichbar ist er nur zu Fuß. Das Auto sollte man bei 52° 43’ 41’’ N / 09° 48’ 43’’ O abstellen und dann dem Weg nach links für 900 Meter folgen, von dort aus führt ein kleiner Pfad wiederum nach links nach weiteren 300 Metern auf den Hügel. Insbesondere der Horizont in westlicher Richtung sollte (wegen großer Distanzen am besten mit einem Spektiv) abgesucht werden. 

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