Pflaumenflechte (Evernia prunastri) Kleine Kalmit fotografiert von Christopher Engelhardt.

Von strauchigen und bärtigen Baumbewohnern

Doppellebewesen, die den Bäumen nicht schaden.


Text von Christopher Engelhardt.

Noch ruhen die meisten Bäume oder beginnen gerade erst mit dem Austreiben, da sind an vielen Stellen von Stamm oder Zweigen bereits kleine Sträucher gewachsen. Sie sind schon im Winter erschienen, die meisten von ihnen schon früher, und sie können Äste und Zweige manch freistehender Bäume fast überwuchern. Dabei schaden sie den Bäumen nicht. Es handelt sich um Doppellebewesen aus der Gruppe der sogenannten „Strauchflechten“. Die haben gar keine Wurzeln, mit denen sie in den Baum eindringen könnten, sondern allenfalls Haftorgane, mit denen sie sich festhalten. Sie entziehen dem Baum auch keine Nährstoffe. Ihnen reicht das, was die Luft ihnen an Nebel oder Regen bringt. Ist es längere Zeit trocken, stellen sie einfach ihren Stoffwechsel ein, bei günstigen Bedingungen fahren sie ihn in Minutenschnelle wieder an, um zu wachsen – die schnellsten von ihnen schaffen etliche Millimeter im Jahr. Ihre Farbe reicht von hellgrün über graugrün bis grau und fast weißlich.

Die wohl am weitesten verbreitete Strauchflechte an Laubbäumen ist Evernia prunastri, auf Deutsch „Pflaumenflechte“ oder „Eichenmoos“. Die Äste dieser mehrere Zentimeter großen Flechte erinnern von der Form her etwas an Bandnudeln, sind meist um fünf Millimeter breit und wirken oft vertrocknet-runzelig und wie mit Mehl bestreut. Ihre Oberseite ist gelb- bis graugrün, ihre Unterseite weiß. Durch diesen Farbkontrast lässt sie sich leicht von Strauchflechten der Gattung Ramalina unterscheiden, die gleichmäßig gefärbte Blattlappen haben. Sehr häufig ist zum Beispiel Ramalina farinacea, die „Mehlige Astflechte“, deren etwas knorpeligen bandartigen Äste nur etwa zwei Millimeter breit werden. Sie kommt an ganz unterschiedlichen Rinden zurecht und ist bis zur polaren Baumgrenze verbreitet.

Wenn Sie sich die „Äste“ dieser Flechten mit der Lupe ansehen und diese überall mit dünnen, stiftartigen Auswüchsen übersät sind, haben Sie wahrscheinlich Pseudevernia furfuracea vor sich, die „Gabelflechte“, die vor allem in niederschlagsreichen Höhenlagen vorkommt. Sind die Ästchen sehr dünn und hängen wie lange Bärte vom Baum herab, haben Sie eine Bartflechte aus der Gattung Usnea entdeckt – die brauchen in der Regel saubere Luft und dienen daher als Luftgüteanzeiger. Sich einmal näher mit den verschiedenen Flechten zu befassen, kann sehr spannend sein: Allein in Mitteleuropa leben etwa 2.000 verschiedene Arten mit sehr vielfältigen (Über-)Lebens-Strategien.

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