Foto: Christopher Engelhardt.

Unberechenbare Gäste aus der Taiga

Seidenschwänze sind in ihrem Auftreten unberechenbar.


Text: Christopher Engelhardt.

Viele Jahre lang habe ich in den Wintermonaten Beeren tragende Sträucher und Hecken nach ihnen abgesucht – ohne Erfolg. Dann irgendwann habe ich sie zum ersten Mal gesehen, eher zufällig. Denn Seidenschwänze sind in ihrem Auftreten unberechenbar. Die hübschen bunten Singvögel aus den Wäldern des hohen Nordens tauchen in manchen Jahren invasionsartig in großer Zahl bei uns auf und können dann weit nach Süden bis Hessen, Sachsen oder gar Österreich vordringen. In anderen Jahren bleiben sie fast geschlossen in ihrer skandinavischen Heimat und nur wenige Vögel ziehen überhaupt bis nach Mitteleuropa. Manchmal werden die ersten Seidenschwänze schon Ende Oktober gesichtet, in anderen Jahren kommen größere Zahlen erst im neuen Jahr, manchmal bleiben sie fast ganz aus. Im Mittelalter hielt man ihr sporadisches, unerklärliches Auftauchen für ein böses Vorzeichen und gab ihnen den – bis heute im Niederländischen gebräuchlichen – Namen „Pestvogel“. Wie wir heute wissen, hat ihre Wanderbereitschaft aber durchaus erklärliche Ursachen und hängt stark von der Nahrungssituation in ihrer Heimat ab. Wenn eine erfolgreiche Brutsaison mit vielen Jungvögeln mit einem schlechten Fruchtjahr ihrer Hauptnahrung, der Eberesche, zusammentrifft, entsteht ein mangelbedingter Populationsdruck, der große Schwärme zum Abwandern veranlasst. Dann tauchen Trupps von wenigen bis zu Hunderten von Vögeln auch in unseren Parks und Städten auf, wo sie an Hecken und Alleebäumen reichlich Nahrung finden. Damit ergibt sich für uns die Chance, diese Vögel einmal gezielt zu finden und zu beobachten. Denn sobald ein Trupp einmal eine reichhaltige Nahrungsquelle ausgemacht hat, kommen die Vögel oft tagelang immer wieder zu dem selben Baumbestand, der gleichen Hecke oder dem bekannten Kleingartengelände zurück, bis nach wenigen Tagen das Beerenangebot dort abgeerntet ist und der Schwarm weiterzieht. 

Wollen Sie Seidenschwänze sehen, verfolgen Sie unter www.naturgucker.de bewusst die Beobachtungsmeldungen aus Ihrer Nähe. Wenn es sich um einen Beeren fressenden Trupp in einem ergiebigen Gebiet handelt, stehen die Chancen gut, dass die Vögel mehrere Tage bleiben oder mehrfach wiederkommen. Vielleicht finden Sie ja auch ihre eigenen Seidenschwänze. In fliegenden Trupps erinnern Seidenschwänze in Gestalt und Flugweise an Stare, die bei uns im Winter ja eher selten sind. Und sie sitzen gerne über längere Zeit an exponierten Stellen, zum Beispiel in den Spitzen alleinstehender Bäume. Von dort aus starten sie zu ihren Nahrungsflügen, die sie manchmal nur wenige Meter tiefer in eine Hecke führen. Sie geben dabei typische hell klingelnde Rufe von sich, die manchmal schon zu hören sind, bevor man den Trupp entdeckt. Diese farbenfrohen Vögel zu finden ist immer ein besonderes Erlebnis – viel Glück!

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