Foto: Jan Piecha

Schwarze Schönheiten aus Norddeutschland

Einmal ein schwarzes Reh zu fotografieren – das war der Wunschtraum von Jan Piecha. Er ging in Erfüllung – aber einfach war es nicht ...


Text: Jan Piecha

Rehe sind in unserer Kulturlandschaft ein recht alltäglicher Anblick, oft stehen sie sogar direkt neben der Autobahn. Mit ihrem braunen Fell und den weißen Spiegeln am „Hintern“ sind sie leicht zu erkennen. Aber es gibt auch Rehe, die ganz anders sind. Eines Tages entdeckte ich nämlich im Internet ein Foto eines schwarzen Rehbocks, das mir gleich ins Auge fiel. Nach etwas Recherche fand ich heraus, dass er unmittelbar in der Nähe meines damaligen Wohnorts in der Nähe von Osnabrück aufgenommen worden war. Daraufhin machte ich mich auf die Suche nach dieser schwarzen Schönheit und konnte ihn mit etwas Hilfe bereits beim ersten Anlauf entdecken. Er kam aus einem kleinen Wäldchen, zog eine kleine Runde und verschwand direkt wieder in seinem Tageseinstand. Eine genauso kurze wie beeindruckende Begegnung. 

Man bekommt als Naturfotograf oft die Frage gestellt: „Braucht man da nicht viel Geduld?“ Die Antwort darauf lautet, wie beispielsweise in den meisten juristischen Fällen auch: „Es kommt darauf an!“ Einige Aufnahmen entstehen zufällig, und es ergibt sich plötzlich ein Foto, mit dem man zuvor gar nicht gerechnet hat. Andere Bilder erfordern Arbeit, und es bedarf viel Mühe, sein Ziel zu erreichen. So ein Motiv fand ich in diesem ganz besonderen Rehbock. Nachdem ich den majestätischen Bock nun einmal hautnah erlebt hatte, wollte ich unbedingt ein schönes Foto von ihm haben – damals ahnte ich noch nicht, dass es derart schwierig werden sollte. Der Tageseinstand des Rehbocks war in einem winzigen Wäldchen am Stadtrand meiner damaligen Heimatstadt. Um zu seinem Revier zu gelangen, musste ich bei leichter Steigung knapp fünf Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegen. Mit dem schweren Fotorucksack auf dem Rücken entpuppte sich die Anfahrt morgens um fünf schnell als Kampf gegen den inneren Schweinehund: warme Bettdecke und Schlaf gegen Misserfolge und nasse Füße im Rehwildrevier!

Das Wäldchen und seine Umgebung dienten vielen Menschen zur Erholung und Freizeitnutzung, weshalb man dort nie wirklich alleine war. Leider merkte das auch der Bock, und so verhielt er sich sehr heimlich. Bei mehreren Beobachtungen wurde mir klar, wie schwer es war, ihn zu erwischen. Denn er tauchte lediglich sehr früh morgens und sehr spät abends auf und entfernte sich nie weit von der Waldkante. Ein Ansitz hätte vermutlich keinen Erfolg gebracht, weil nie sicher war, an welcher Seite er zu sehen sein würde. Zudem bot das kleine, jedoch sehr dichte Gehölz nur wenig Überblick, und meist tauchte der Rehbock plötzlich und unerwartet am Rande seines Wäldchens auf. Das schwarze Fell stach in der hellen Wiese schnell heraus, und jedes Mal ging mein Puls in die Höhe. Weil aber alle fünf Minuten ein Mensch unsere Wege kreuzte, durfte ich keine Zeit verlieren. Also setzte ich meistens alles auf eine Karte, versuchte es mit der aktiven Variante und pirschte mit Tarnklamotten und dem richtigen Wind in seine Richtung. Dennoch erschienen dauerhaft Jogger, Reiter oder Spaziergänger am Rande der Wiese, weswegen der Bock in Windeseile wieder in seinem Wäldchen verschwand. Was kam also dabei raus? NICHTS! Es war wirklich ernüchternd.

Die Verlockung, im warmen Bett zu bleiben, blieb also groß. Der Aufwand war nicht mit der winzigen Wahrscheinlichkeit gleichzusetzen, ihn einmal gut zu erwischen. Die Beobachtungen dauerten meistens nur einen kurzen Augenblick, und danach war es für den Tag gelaufen. Dennoch zog ich immer wieder los – und holte mir früh morgens nasse Füße. Gegen Abend waren die Chancen eigentlich noch schlechter, weil zu dieser Zeit noch mehr Leute unterwegs waren. Einmal jedoch, ich hatte gerade bei meinem Projekt, Uhus zu fotografieren, abgebrochen, machte ich mich abends spontan auf den Weg zu „meinem“ Bock. Es war gerade die sogenannte Blattzeit, die Brunftzeit bei den Rehen. In diesen Wochen herrschen im Rehwildrevier etwas andere Umstände. Die Böcke sind unvorsichtiger als sonst und sind gelegentlich auch an anderen Stellen zu sehen. Und so staunte ich nicht schlecht, als ich plötzlich von Weitem etwas Dunkles im angrenzenden Kornfeld entdeckte. Das war meine Chance! Allerdings nahm der Bock kurze Zeit später den Kopf herunter – und war wieder verschwunden. Mehr als eine Viertelstunde lang konnte ich ihn nicht wiederfinden, obwohl ich inzwischen in den Büschen am Rand des Kornfelds stand und versuchte, mich unbemerkt in einer Traktor-Fahrspur der letzten Stelle, an der ich ihn gesehen hatte, zu nähern. Da war er wieder! Leider lief er, einer Ricke folgend, rasch in eine Hecke und verschwand wieder. Aber ich stand nun zwischen ihm und seinem Lieblingswald – und der Wind wehte meinen Geruch von ihm weg. Ich entschied mich zu warten. Nach kurzer Zeit zog er erneut in das Feld und kam dabei schräg an mir vorbei. Ich war unglaublich aufgeregt und beobachtete ihn durch den Sucher meiner Kamera. Als er auf passender Fotoentfernung war, machte ich die ersten Bilder. Natürlich hörte er die Kamera sofort und warf mir einen Blick zu. „Klick”! Endlich hatte ich ihn, endlich war er im Kasten! Nach wenigen Fotos war die Magie des Augenblicks schon wieder vorbei und der Bock verschwunden. Mein Herz raste immer noch! Beim Durchsehen der Bilder kam die Erleichterung, denn nach etlichen Anläufen und etwas Hartnäckigkeit war ich zu meinem Foto dieses starken, schwarzen Rehbocks gekommen. Im folgenden Jahr habe ich ihm auch noch einige Besuche abgestattet – es war allerdings das gleiche Schema: Er verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Wo gibt es schwarze Rehe?

Das Hauptverbreitungsgebiet der schwarzen Rehe liegt in der Norddeutschen Tiefebene, das Kernvorkommen in Niedersachsen in der Lüneburger Heide, wo sie flächendeckend immer mal wieder auftauchen. In Richtung Osten besiedeln sie das nördliche Sachsen-Anhalt und in Richtung Westen reicht das Vorkommen über den Niederrhein bis in östliche Bereiche der Niederlande. Einzelnachweise gibt es auch aus Bayern oder Hessen, wobei es sich tatsächlich nur um einzelne Tiere handelt. Der Ursprung der schwarzen Fellfärbung wird den beiden Ursprungsstandorten Haste bei Hannover (das Wappen von Haste ist mit einem schwarzen Rehbock geschmückt) und Lüchow-Dannenberg zugeschrieben. In Haste gehen entsprechende Aufzeichnungen bis ungefähr ins Jahr 990 zurück, der älteste Nachweis aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg stammt aus dem Jahr 1591. 

Die Farbvariante entsteht durch eine starke Vermehrung des schwarzen Farbpigments Melanin, weshalb diese Erscheinung als Melanismus bezeichnet wird. Die genauen Ursachen für diese Farbmutationen sind nicht genau geklärt. Es ist jedoch bekannt, dass sie sich rezessiv, also nicht dominant, vererbt. Bei einigen Tieren lässt sich auch lediglich eine schwarze Rückenpartie oder ein schwarz gefärbtes Gesicht beobachten. Im Winter sind die Tiere matter, während sie im Sommer ein tiefschwarzes, glänzendes Fell aufweisen. Im Frühling erinnern sie teilweise eher an einen Esel, da sich das vergangene Winterfell in einen grauen Farbton verwandelt. Schwarze Rehkitze weisen übrigens trotz der schwarzen Fellfärbung die charakteristischen Kitzflecken auf. Allerdings sind die Flecken nicht weiß, sondern deutlich dunkler und unterscheiden sich nur in Farbnuancen vom restlichen Fell, weshalb sie bei Beobachtungen aus der Ferne rein schwarz erscheinen. Ich konnte bereits eine schwarze Ricke mit zwei normal gefärbten Rehkitzen beobachten, eine schwarze Ricke mit  schwarzem Kitz, eine schwarze Ricke mit braunem Kitz oder sogar eine braune Ricke mit einem schwarzen und einem braunen Kitz. Dabei sind der Natur keine Grenzen gesetzt.

Meist benutze ich bei der Kamera (Canon EOS 400 D, 7 D und 5 D Mark III) die Belichtungsautomatik. Das bedeutet, dass ich mir die Blende und ISO-Zahl selbst einstelle, um mein Bild nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Diese Werte passe ich so an, dass die Belichtungszeit lang genug ist, um das Bild nicht zu verwackeln. Bei Belichtungsmessung stelle ich die Mehrfeldmessung ein, die das gesamte Bild einbezieht. Bei schwarzen Rehen enthält das Bild viele schwarze Bereiche – dadurch wählt die Kamera eine längere Belichtungszeit, obwohl die Lichtsituation eigentlich mehr hergeben würde. In diesem Fall ist es wichtig, eine leichte Belichtungskorrektur in den Minus-Bereich vorzunehmen, um das Bild richtig zu belichten. Wichtig ist jedoch, dass es dabei nicht zu dunkel belichtet wird, weil das Rauschen beim Aufhellen verstärkt werden würde. Ich lasse den Autofokus des Tele-Objektives (Canon 100-400 und Canon 500 mm f 4) sich meist auf die „Rosen“ am Geweih des Rehbocks scharfstellen – denn bei einem Tier mit schwarzen Augen und schwarzem Gesicht „weiß“ die Kamera sonst oft nicht, worauf der Fokus liegen soll.  

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