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Rettung für den Froschkönig

Der Laubfrosch, der dem Froschkönig Pate stand und einst Wetterprophet im Gurkenglas war, ist dank engagierter Naturschützer heute wieder vielerorts zuhause.


Text: Thomas Brandt

Der charismatische Lurch, dessen nordamerikanischer Verwandter uns als „Kermit, der Frosch“, bekannt ist, war in weiten Teilen Deutschlands selten geworden oder ausgestorben – so auch am Steinhuder Meer. Dort wurde er in den 1970er Jahren ausgerottet, indem das letzte Laichgewässer verfüllt worden war. Nachdem von den Landkreisen Hannover, Nienburg und Schaumburg am Westufer des Steinhuder Meeres im Rahmen eines Bundesnaturschutzprojektes ein 700 Hektar großer, zusammenhängender Grünlandkomplex gekauft werden konnte, war es den Naturschutzbehörden und -verbänden möglich, wichtige Maßnahmen für die dort noch heimischen Amphibienarten zu ergreifen. Von allen Arten hatten einige wenige Individuen die massive Intensivierung der Landnutzung mit Entwässerungsmaßnahmen, Verfüllen von Kleingewässern, Mineraldüngung und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln überlebt – mit Ausnahme des Laubfrosches. Weil Laubfrösche nicht alt werden, bedeuten Lebensraumverluste von einem Jahr zum nächsten oft das Aus für eine ganze Population. Obendrein leiden ihre oft im freien Wasser schwimmenden Kaulquappen mehr als die Larven anderer Amphibien unter Prädation – und werden von Libellenlarven, großen Wasserwanzen und Gelbrandkäfern gefressen. Ebenso können selbst der geringste Fischbesatz durch einen gut meinenden Angler oder Eisvogel-Freund, der vorm Urlaub eben schnell entsorgte Goldfisch oder eine Überschwemmung, die Fischen den Zugang zum Gewässer ermöglicht, dafür sorgen, dass ein einst gutes Laichgewässer für Laubfrösche nicht mehr nutzbar ist.

Die drei Landkreise kauften ab 1995 Wiesen und Weiden, auf denen innerhalb von zehn Jahren mehr als 70 Tümpel und Blänken angelegt wurden. In der Folge wuchsen die Populationen von Moor- und Teichfrosch auf Zigtausende Individuen an, und auch die Bestände von Knoblauchkröte, Kreuzkröte, Kammmolch und anderer Arten stiegen wieder auf ein stabiles Maß. Der Laubfrosch aber blieb verschollen. Und woher sollten die Laubfrösche auch kommen, für die der neu geschaffene Lebensraum ebenfalls geeignet erschien? Mit Unterstützung der zuständigen Behörden konnten Mitarbeiter der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM e. V.) im ersten Projektjahr zunächst 20 Laubfrosch-Laichballen aus einer stabilen, etwa 35 Kilometer vom Projektgebiet entfernten Population bei Hannover entnehmen. Das war unbedenklich, denn wie in den Jahren zuvor wären die dortigen Gewässer vor der Metamorphose der Kaulquappen ohnehin ausgetrocknet – Laich und bereits geschlüpfte Kaulquappen wären also umgekommen. Diese Laichballen setzen die Naturfreunde zum Schutz vor „Fressfeinden“ in Aquarien, und einige Tage später schlüpften aus den Eiern die Kaulquappen. Die blieben nun sechs Wochen darin – solange, bis die ersten Tiere Hinterbeine ausbildeten. Im Juni 2005 dann konnten die Laubfroschschützer etwa 1.000 Kaulquappen in drei fischfreie Tümpel aussetzen, und wenige Wochen später sah man die ersten „Metamorphlinge“, also frisch umgewandelte junge Laubfrösche, auf Büschen in der Nähe der Ansiedlungsgewässer. 

Mit Spannung wurde das nächste Frühjahr erwartet: Hatten einige der Metamorphlinge den Winter überlebt? Konnte man im Projektgebiet vielleicht sogar mit den ersten Laubfroschrufen seit 30 Jahren rechnen? Oder war die ganze Arbeit wie die Suche nach Laichballen, das tägliche Wasserwechseln in den Aquarien über Wochen, die Suche nach den vermeintlich besten Ansiedlungsgewässern im Projektgebiet umsonst gewesen? Entsprechend groß war die Freude, als bereits im April des Folgejahres neun Männchen aus fünf Gewässern riefen, am 8. Mai waren es sogar rund drei Dutzend. Damit war das Projekt aber noch nicht in trockenen Tüchern. Drei weitere Saisons mit Laichballen-Entnahme, Aufzucht und erneutem Ausbringen von Kaulquappen sollten folgen, um einen möglichst variablen Genpool in der neuen Population aufzubauen. Insgesamt wurden an die 8.000 Kaulquappen aus fünf unterschiedlichen Populationen innerhalb eines 40-Kilometer-Radius um das Projektgebiet in die Gründerpopulation am Steinhuder Meer eingebracht. Nach und nach wuchs die Population heran, von den Projektbeteiligten jährlich akribisch anhand der Zahl rufender Männchen dokumentiert. Zum Ende der Ansiedlungsperiode 2008 beschallten fast 300 zeitgleich rufende Männchen nach Sonnenuntergang den Meerbruch am Westufer des Steinhuder Meeres. Zwei Jahre später zählten die Naturschützer schon 500 und 2015 schließlich enorme 2.800 „Rufer“, die in der Abenddämmerung ihr typisches „äpp-äpp-äpp“ oder „gäck-gäck-gäck“ hören ließen. Hochgerechnet bedeutete das eine Populationsgröße von etwa 7.500 Laubfröschen.

Das Laubfroschjahr beginnt meist erst Ende April oder Anfang Mai, wenn die wärmeliebenden Tiere ihre Laichgewässer aufsuchen. Nach Paarung und Laichablage verlassen die Tiere diese und wandern in ihre Sommerlebensräume – Hecken, Büsche und Bäume. Dabei klettern sie nicht selten bis in weit über 20 Meter Höhe in die Baumkronen. Auch die Jungfrösche krabbeln nach ihrer Metamorphose aus den Gewässern und bleiben im Hochsommer in der Ufervegetation, wo sie auf Brombeeranken oder blütenreichen Hochstaudenfluren sitzend wie die ausgewachsenen Tiere Blütenbesucher fressen: Zweiflügler wie Fliegen und Mücken sowie Bock-, Rüssel-, Weich- und Marienkäfern und Wanzen. Im Oktober suchen Alt- und Jungtiere ihre oft Kilometer entfernten Winterquartiere auf – frostfreie, unterirdische Plätze, zum Beispiel Wurzelbereiche von Laubbäumen, Bodenspalten oder Erdhöhlen, teils von Maulwürfen oder Wühlmäusen. Erst nach zwei Jahren sind die Tiere geschlechtsreif und können für den Fortbestand der Art sorgen. 

Ein wichtiges Ergebnis des Projektes sind wissenschaftliche Untersuchungen gewesen, etwa darüber, was aus dem Genmaterial der fünf Spenderpopulation geworden ist, wie groß der Genpool im Vergleich ist und ob es Anzeichen dafür gibt, dass durch die Mischung besonders vorteilhafte Genotypen entstanden sind, die sich für weitere Ansiedlungsprojekte eignen? Die Ergebnisse sind noch offen, lassen aber Spannendes vermuten. Zumindest lässt sich sagen, dass es sich bei der Laubfroschwiederansiedlung am Steinhuder Meer um das wohl am umfangreichsten dokumentierte Projekt seiner Art handelt.

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