Der Halsbandsittich ist eigentlich ein Bewohner tropischer Gefilde, den Alexander der Große vor 2.300 Jahren aus Indien nach Griechenland brachte, weswegen er auch den Namen Alexandersittich trägt. Ihm wird nachgesagt, andere Höhlenbrüter zu verdrängen. Foto: Mathias Schaef

Fremde Vögel im Fadenkreuz

Exoten wie Heiliger Ibis, Rostgans und Halsbandsittich erfreuen auch hierzulande so manchen Beobachter. Aber diese Arten sind vielen alles andere als willkommen: Ob sie schaden, nutzen oder schlicht „egal“ sind – daran scheiden sich die Geister


Text: Robert Lücke

 

Die Ausbreitung aviärer Neozoen wie Mandarinente, Nil-, Rost- sowie Kanadagans und Halsbandsittich spaltet die Geister: Während sich viele über die Anwesenheit der teils farbenprächtigen Neubürger freuen, befürchten zahlreiche Naturfreunde und -schützer, dass Neozoen heimischen Vogelarten schaden. Die Gegner verlangen Abschüsse und Vertreibungen, die Befürworter der Neozoen bezweifeln die Notwendigkeit dieser Maßnahmen und moralisieren die ablehnende Haltung ihrer Kontrahenten soweit, als sie die Frage diskutieren, warum multikulturelle Gesellschaften des Menschen als erstrebenswert gelten, während dies im Zusammenhang mit Neozoen meist nicht gelte. Was aber ist nun richtig? Zuallererst muss man wohl sagen: Man weiß es nicht. Denn so richtig erforscht sind die Auswirkungen dieser Arten auf die Ökosysteme, in denen sie leben, weil der Mensch sie absichtlich oder versehentlich dort hinbrachte, nicht. Es gibt wenige Fälle, da ist der Schaden klar belegbar: So verdrängt die Schwarzkopfruderente ihren nahen Verwandten, die Weißkopfruderente. Ursprünglich war die Schwarzkopfruderente auf Nordamerika beschränkt. Doch 1948 wurden sieben Schwarzkopfruderenten (vier Männchen und drei Weibchen) aus den USA nach Großbritannien gebracht, und bis 1973 flohen knapp 90 Nachfahren dieser Enten in die Freiheit, und binnen vier Jahrzehnten wuchs der Bestand dann auf mehrere Tausend Tiere an, die sich nach und nach auf Kontinentaleuropa ausbreiteten: So wurde Deutschland vermutlich 1980 besiedelt. Heute lebt die Schwarzkopfruderente in insgesamt 21 Ländern. Das wäre wohl nicht weiter tragisch – gäbe es nicht die Weißkopfruderente. Diese lebte früher recht häufig in Süd- und Osteuropa, bevor der Mensch ihre Lebensräume durch Entwässerung dezimierte. In den letzten zehn Jahren sind die Bestände um 60 Prozent zurückgegangen, weswegen die Art nun als weltweit bedroht eingestuft wird. Dazu trägt auch die Schwarzkopfruderente bei, unter anderem, weil aggressiv auftretende Männchen der Schwarzkopfruderente sich mit Weißkopfruderenten-Weibchen paaren. Deren Nachkommen wiederum sind fortpflanzungsfähig und durchmischen die bislang reinen Weißkopfruderenten-Bestände. Auf der Iberischen Halbinsel, in Großbritannien und Frankreich werden wildlebende Schwarzkopfruderenten deswegen systematisch abgeschossen, und Ähnliches ist auch in Deutschland bereits diskutiert worden. Tatsächlich listet das zuständige Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Schwarzkopfruderente auf ihrer „Liste invasiver Arten“ auf. Zwar betont dass BfN, dass „von den meisten gebietsfremden Arten (...) keine Gefahren für unsere Natur oder Gesundheit ausgehen“ und sie „keine negativen wirtschaftlichen Auswirkungen“ hätten, doch etwa zehn Prozent davon könnten „naturschutzfachliche Probleme bereiten und/oder wirtschaftliche Schäden verursachen“. Die Schwarzkopfruderente zählt zu diesen zehn Prozent. Aber sind deswegen Abschüsse in Schutzgebieten nötig? „Bei vielen Arten ist das nicht einfach zu bewerten“, sagt Stefan Nehring vom BfN. „Gerade bei diesem für die Wissenschaft noch jungen Thema fehlen oft valide Daten. Es ist keine Schreibtischentscheidung“, sagt er. 

Aberglaube schädliche Nilgans?

Ein weiterer Konflikt entzündet sich an Nil- und Rostgänsen, die zur Brutzeit Territorien aggressiv gegenüber einigen anderen Vogelarten verteidigen – was auch bei den Befürwortern des Neobiota-Verbleibs nicht strittig ist. Aber diese fragen sich doch, ob die Ausbreitung der ursprünglich afrikanischen Nilgans in Mitteleuropa tatsächlich zu Bestandsabnahmen heimischer Wasservögel führt – und führen Arbeiten zahlreicher Autoren an, wonach „Nilgänse selbst dort, wo sie flächendeckend und in hoher Dichte etabliert sind, keine heimischen Arten ernsthaft gefährden, geschweige denn an den Rand des Aussterbens bringen“, wie der Bochumer Biologe Martin Hennenberg meint. Dennoch werde „weitläufig an dem Aberglauben der schädlichen Nilgans festgehalten, was etwa durch zahlreiche Zeitungs-Artikel bezeugt wird. In Dänemark bildete das die Basis für Abschussprogramme“, so Hennenberg. Auch bei der asiatischen Rostgans sei trotz ihrer starken Ausbreitung in der Schweiz und im Bodenseegebiet „keine Gefährdung einheimischer Arten festgestellt worden“, sagt Hennenberg. Lediglich aus Einzelfällen, etwa „einer einzigen dokumentierten Rostgans-Brut in einem Schleiereulen-Nistkasten“ sei der Schluss gezogen worden, „dass Rostgänse einen limitierenden Faktor für Eulen und Falken darstellen, was sich inzwischen als völlige Fehleinschätzung erwiesen hat“. In der Schweiz aber würden „ungeachtet dessen Rostgänse ,vorsorglich' abgeschossen“. In Deutschland landen Nil- und Rostgans auf einer bislang noch unveröffentlichten „Grauen Liste“ des BfN. „In der Tat gibt es einzelne Beobachtungen, dass Rostgänse heimische Arten wie Turmfalken oder Schleiereulen aus deren Bruthöhlen vertrieben haben“, sagt Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Ob sie deswegen aber gleich getötet und vertrieben werden müssten, sei dahingestellt. Bauer warnt hier vor Panikmache: Auch beim Halsbandsittich, der in warmen Ballungszentren an Rhein und Main beträchtliche Bestände aufbaute, wird immer wieder die Verdrängung anderer in Höhlen brütender Vögel vermutet. „Da habe ich überhaupt keine Bedenken“, sagt Bauer – seines Wissens sei hierzulande keine andere Vogelart in ihrem Bestand durch den Sittich nennenswert gefährdet. Lediglich in Brüssel seien „ganz kleine Effekte auf Kleiber und Stare“ beobachtet worden. Allerdings beschränkten sich die Sittiche bisher auf einige wenige Städte. „Gelänge ihnen der Sprung aufs Land und in die Fläche, sähe die Sache vermutlich anders aus. So sieht das auch Stefan Nehring vom BfN. „Der Halsbandsittich ist in einigen Ländern flächenmäßig viel stärker verbreitet. Dann kann er dort zum Problem werden“. Allerdings sei eine Einstufung schwierig, „denn es gibt ja anders als im Chemikalienrecht keine Grenzwerte, die aussagen, ab wann oder wie viel etwas bedenklich ist oder nicht“. 

Friedliche Ibisse bei München

Solche Grenzwerte gibt es auch für den Heiligen Ibis nicht, der sich, aus Afrika stammend, inzwischen in mehreren Tausend Exemplaren vor allem in Westeuropa wohlfühlt. In Gefangenschaft gehaltene Ibisse waren ausgebüxt und hatten in der Bretagne und in Holland Brutkolonien gebildet, und als im Sommer 2013 ein Ibis-Paar am Ismaninger Speichersee bei München brütete und erfolgreich ein Küken großzog, war die Aufregung bei vielen Naturschützern groß: Ibisse haben einen gewaltigen Appetit. Neben Amphibien, Schnecken und anderen Wirbellosen fressen sie gerne die Eier anderer Vögel. „Der Heilige Ibis ist als aktiver Nesträuber bekannt“, sagt Hans-Günther Bauer, „und wenn der erst mal in einer Seeschwalben-Population unterwegs ist, bleibt von der, wie ich hörte, nicht viel übrig“. Allerdings könne er das nicht belegen, schränkt Bauer ein. Indes aber zeigen Fotos aus einer Brandseeschwalben-Kolonie, wie die Ibisse dort eindringen, die deutlich kleineren Seeschwalben von ihren Nestern vertreiben und ihre Eier auffressen. Die Brandseeschwalben gaben danach ihre Kolonie auf, und die Nester benachbarter Trauer-, Weißbart- , Fluss- und Rosenseeschwalben-Nester wurden ebenso wie die Brutplätze von Stelzenläufern und Kiebitzen ebenfalls geplündert. In Frankreich wurden in den letzten Jahren etwa 5.000 Ibisse geschossen, und bei uns landete der Heilige Ibis neben der Schwarzkopf-Ruderente als zweite Art auf der „Liste invasiver Arten“ des BfN (die dritte Art ist das Chukarhuhn). „Tatsache ist, dass am Ismaninger Speichersee bislang kein einziger Übergriff von Ibissen auf Eier oder Junge anderer Vögel beobachtet wurde, obwohl sich seit 2010 bis zu sieben Ibisse inmitten der dichten Kolonie von Graureihern und Kormoranen aufhalten, in deren Nähe sich auch eine Lachmöwen-Kolonie befindet“, schreibt Biologe Martin Hennenberg. Er berichtet von einer „14-jährigen, wissenschaftlichen Studie an einer rund 1.100 Brutpaare umfassenden Ibis-Population an der französischen Atlantikküste“ – demnach seien Übergriffe von Ibissen auf Gelege oder die Jungen anderer Vögel „sowohl für die Bestandsentwicklung dieser Arten als auch für die Ernährung der Ibisse völlig unbedeutend“ gewesen."

Keine pauschalen Dezimierungen

Thomas Rödl, Biologe beim Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) hält es dennoch für dringend angeraten, die Ibisse vorsorglich einzufangen. „Sie sind Gefangenschaftsflüchtlinge und haben nachweislich in Frankreich große Schäden an der heimischen Vogelwelt angerichtet.“ Die öffentliche Zurückhaltung vieler Naturschutzverbände beim Thema Neozoen begründet er so: „Man will vermeiden, in undifferenzierter Weise Dinge zu vermengen, die nichts miteinander zu tun haben.“ Manche Diskussionen um die heimische Graugans entstünden oft deshalb „weil sich Personen über deren Kot auf der Liegewiese ärgern“. Man dürfe aus berechtigten Bedenken, wie beim Heiligen Ibis, nicht automatisch auch für heimische Arten Abschüsse oder Vergrämungen ableiten, vor allem nicht, wenn dadurch die Funktionen von Schutzgebieten und Ruhezonen beeinträchtigt werden. Als nicht ganz unproblematisch stuft Rödl noch die Nilgans ein, „weil sie ein sehr forsches Auftreten gegenüber anderen Wasservögeln zeigt“. Dabei gebe es aber „noch wenig Daten, die eine Dezimierung der Art zwingend erforderlich machen". Daher fänden in zwei bayerischen Modellregionen Forschungsarbeiten im Rahmen eines Umsetzungsprogramms für Gänsemanagement statt. 

Dringend notwendig seien also genauere Untersuchungen – und Differenzierung: „Ich halte nichts davon, jede Art, die eigentlich nicht hierhin gehört, per se zu verteufeln und zu verfolgen“, sagt Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut. Zugleich aber plädiert er dafür, dass nach dem Verursacherprinzip gehandelt werden müsse. „Richten invasive Arten Schäden an, muss der Mensch, der diese Arten ausgesetzt hat, auch den Schaden reparieren.“ Als Beispiel nennt Bauer die drei Flamingo-Arten, die seit Jahren im Zwillbrocker Venn im westlichen Münsterland leben. Heimisch in Europa, wenn auch nicht originär im Münsterland, sondern im Mittelmeerraum, sei nur eine, nämlich der Rosaflamingo. Aber Roter und Chileflamingo verpaarten sich mit diesem und sorgten so für einen „genetischen Mischmasch, den wir nicht wollen können“. 

Gut geprüft ist halb gewonnen

Recht verhalten äußert sich auch der NABU. Eine grundsätzliche Position des Verbandes zum Thema Neozoen unter den Vögeln gebe es nicht, sagt Vogelschutzexperte Lars Lachmann. Je nach Art müsse einzeln geprüft werden, ob diese beseitigt werden müsse oder nicht. „Die Art muss mit Hilfe des Menschen eingeschleppt worden sein. Und es darf keine natürliche Ausbreitung wie bei der Türkentaube vorliegen“, sagt Lachmann. Nötig sei zudem „eine Risikoeinschätzung abzugeben, die prüft, ob sich die Art ausbreitet oder sie es könnte, ob sie eine bestehende oder potenzielle Gefahr für heimische Arten ist, und wie die Chancen und der Aufwand einer Beseitigung sind und wie sie in der Zukunft sein werden“. Als Beispiel nennt Lachmann wieder die Halsbandsittiche. „Da sehe ich weder, dass sie sich stark ausbreiten, noch, dass sie heimische Arten verdrängen. Nach meinen Informationen gibt es in den entsprechenden Gebieten genügend Höhlen für Halsbandsittiche und baumbrütende Dohlen.“ Im Zweifelsfall wären die Dohlen „in der Lage, die Halsbandsittiche zu vertreiben“. Stare schafften das zwar nicht, aber die könnten „dafür aber auch kleinere Höhlen nutzen“, sagt Lachmann. Als Grenzfall sieht er Schneegänse an. „Sie schaden den heimischen Tieren derzeit ein ganz klein wenig, weil sie ein Parkgewässer in Neuss okkupieren. Außerdem haben sie das Potenzial, sich weiter auszubreiten, wenn sie neue Kolonien gründen, und wären dann eine Konkurrenz für Graugänse.“ Außerdem könnten die Schneegänse dann weiteren Arten schaden, ironischerweise vor allem Nilgänsen und Kanadagänsen – die aber ihrerseits Neozoen sind. Noch sei die Beseitigung einfach, werde „aber schwieriger werden, wenn es neue und weiter versprengte Kolonien gäbe. In diesem Fall würde ich das Vorsorgeprinzip bemühen und diese Tiere beseitigen“. Der NABU unterstütze insgesamt also weder „einen tierschützerisch motivierten Ansatz ,Alle Tiere leben zu lassen'“ noch „einen radikalen xenophoben Ansatz nach dem Motto ,Alles Fremde muss weg'“.

Grundsätzlich prallen also nicht nur biologische Sichtweisen, sondern auch ausgewachsene moralische Weltanschauungen aufeinander. „Das ist ein emotionales Thema“, sagt auch Stefan Nehring vom BfN. „Es geht um zum Teil putzig aussehende Wirbeltiere. Bei denen sind Diskussionen andere als bei invasiven Pflanzenarten. Unkrautausreißen ist man aus dem eigenen Garten gewohnt, und vielleicht auch noch das Zerdrücken einer lästigen Mücke. Aber das Vergrämen oder Töten von Wirbeltieren entfacht ganz andere Gefühle“, sagt Nehring. Da ist dann für Rationalität oft kein Platz.

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