Die Gallenbildner
Reichliches Gallenaufkommen dieser Monate
Text: Christopher Engelhardt.
Nach so vielem Umhersuchen auf dem Waldboden tut es gut, die Blicke auch wieder nach oben zu richten. Hätten Sie gewusst, dass es allein in Mitteleuropa über 5.000 Arten von Wespen gibt? Viele von ihnen sind so klein, dass wir sie mit bloßem Auge fast nie wahrnehmen. Was wir allerdings um diese Jahreszeit allenthalben finden, sind ihre Hinterlassenschaften. Etwa 1.000 Arten von Blattwespen (Tenthredinidae) und Gallwespen (Cynipidae) lassen durch spezielle, bei der Eiablage mit abgegebene Wuchsstoffe an Blättern von Bäumen und Stängeln krautiger Pflanzen große Wucherungen entstehen, sogenannte Gallen. Am bekanntesten sind die Gallen der Gemeinen Eichengallwespe (Cynips quercusfolii), die an der Unterseite von Eichenblättern bis zu einer Größe von zwei Zentimetern heranwachsen können. Die Entwicklung dieser Tiere verläuft kompliziert in zwei sehr unterschiedlichen Generationen. Die jetzt manchmal zu mehreren an einem einzigen Eichenblatt hängenden Gallen sind bereits seit Juli herangewachsen und fallen im Herbst mit dem Laub zu Boden. Dort schlüpft irgendwann im Winter eine Generation ausschließlich weiblicher, deutlich größerer Wespen, die ihre Eier an Knospen ablegt. Nur die Tiere der daraus im Mai oder Juni geschlüpften Sommergeneration sind die Gallenbildner der jetzt überall an Eichen grün bis rot leuchtenden „Galläpfel“. Und als ob das nicht kompliziert genug wäre: Bei weitem nicht alle Gallen werden durch Wespen hervorgerufen. Hunderte Arten von Gall-Mücken und Gall-Milben, Blattläusen, Frucht- und Bohrfliegen (Trypetidae), aber auch Pilze tragen zum reichlichen Gallenaufkommen dieser Monate bei. Umgekehrt legen längst nicht alle kleinen Wespen ihre Eier in Blätter ab – die mit mehr als 4.000 Arten umfangreichste Familie aus dieser Verwandtschaft, die Schlupfwespen (Ichneumonidae), parasitieren so unterschiedliche Wirte wie Schmetterlingsraupen, Köcherfliegenlarven, im Holz lebende Käferlarven, Blattläuse, Fliegenlarven – oder ihrerseits andere Parasiten. Wer genauer hinschaut, dem eröffnet sich hier ein unendlich weites, aber auch anspruchsvolles Gebiet für Entdeckungen im Kleinen. Angesichts dieser Armada von Schmarotzern, Parasiten und anderer tödlicher Feinde verwundert es fast, dass überhaupt noch einzelne Tiere das Erwachsenenstadium erreichen. Das liegt zum einen an der schier unendlichen Zahl der Individuen. Zum anderen bewirkt eine übermäßige Parasitierung natürlich, dass die Anzahl der möglichen Wirte dezimiert wird, was in der Folge wiederum die Entwicklungsmöglichkeiten der Parasiten einschränkt. Werden die dann weniger, kann sich der Bestand der Wirte wieder erholen. So kommt es über die Jahre hin zu beträchtlichen Schwankungen. In manchen Jahren treten die Gallen und ihre Erzeuger in solchen Massen auf, dass gebietsweise alle Bäume über und über befallen zu sein scheinen. Solche „Gallenjahre“ wechseln dann mit Jahren, in denen aufgrund der beschriebenen Wechselwirkungen die Gallen und ihre Erzeuger nur in weit geringerer Zahl auftreten. So lebt in der Natur alles in dynamischen Wechselwirkungen – so lange wir Menschen diese nicht aus dem Gleichgewicht bringen.