Säbelzahn-Schleimfisch (Petrocirtes Breviceps) / Foto Georgette Drowma

Der Karneval der Tiere

Tiere tragen nicht nur zur Karnevalszeit bunte Kostüme und schrille Masken, sie sind das ganze Jahr über meisterhafte Verkleidungskünstler, weiß Frank Allmer.


Wohl am bekanntesten sind die Chamäleons. Sie wechseln, wie man weiß, ihre Hautfarbe in kurzer Zeit und passen sie der Umgebung an. Hermeline, Schneehasen, Schneehühner und andere verkleiden sich im Winter: Sie werden weiß. Manche Käfer, Spinnen und Heuschrecken stellen sich tot: Sie fallen auf den Boden, wo sie vor Feinden sicher sind. Opossums wechseln gekonnt vom Leben in den scheinbaren Tod. Der Blick der halbgeschlossenen Augen ist glasig, der Körper ist stocksteif, bis die Gefahr vorbei ist.

Darf es noch ein bisschen toter sein? Das ist das Verkleidungsmotto der Kubanischen Zwerg-Boa (Tropidophis melanurus melanurus). Sie gehört zur Familie der würgenden Riesenschlangen, ist aber für eine Riesenschlange vergleichsweise klein – sie wird gerade mal einen halben Meter lang.

Nun ist so eine kleine Riesenschlange großen Gefahren ausgesetzt. Viele Feinde finden sie sehr lecker. Ihr Trick: Die Zwerg-Boa stellt sich mausetot. Und zusätzlich lässt sie scheinbar mehrere Blutäderchen platzen. Das „Blut“ sickert sogar eindrucksvoll aus Nase und Mund. Also, Blut ist das nicht wirklich, es sind Schleimtropfen, die von Hautdrüsen abgegeben werden und die rot wie Blut aussehen. Damit sich nicht dennoch ein hungriger Interessent die Schlange näher ansieht, sondert sie außerdem einen ekelerregenden Verwesungsgestank ab.

Wahre Meister in Sachen Verkleidung sind auch die Langarm-Kraken. Kein anderes Tier kann in so viele verschiedene Rollen schlüpfen. Meist sitzt der Oktopus (Macrotritopus defilippi) in einem Sandloch und bemüht sich, einer hübschen, roten Muschel zu gleichen. Sichtbar sind dann nur der Kopf und die markanten Augenhöcker. Nähert sich ein Beutefisch, der nicht genau hinguckt, schlägt der Krake überraschend mit seinen acht Armen zu. Nähert sich aber ein Feind, biegt der Krake seine Arme nach hinten und formt daraus perfekt die Silhouette einer Flunder, ahmt ihre Farben und Schwimmbewegungen nach und schwimmt gut getarnt von dannen. Vermutlich nutzen Kraken diese Verkleidung, weil Flundern wegen ihrer zahlreichen Gräten eher unbeliebte Beutetiere sind.

Meist dient die Verkleidung im Tierreich der Tarnung vor Fressfeinden. Aber es geht auch umgekehrt. Die räuberischen Säbelzahn-Schleimfische sind ein Beispiel für die sogenannte Angriffstarnung. Sie ahmen die bei vielen Korallenfischen sehr beliebten Putzerfische nach. Putzerfische befreien andere Fische von Parasiten oder abgestorbenen Hautresten. Damit sie erkannt und nicht gefressen werden, sind die Hautpfleger auffallend bunt und tanzen beim Herankommen einen Putzertanz. Das nutzen Säbelzahn-Schleimfische aus. Sie ahmen die Putzerfische nicht nur in der auffälligen Färbung nach, sondern auch in ihrem Tanz-Verhalten. Und dann beginnen sie nicht, die Putzkunden zu reinigen, sondern reißen ihnen Schuppen und Muskelfetzen ab und vertilgen sie: Karneval der Tiere. Für sie ist das kein Jux, sondern clevere Überlebenstechnik.