Archivartikel
Ausgekrabbelt
Viele Vögel sind nun im warmen Süden, etliche Säugetiere halten Winterschlaf. Aber was machen eigentlich Ameisen, Wespen, Käfer und Bienen? Frauke Reichsberg weiß es.
Text: Frauke Reichsberg
Die Insekten scheinen irgendwann im Spätherbst zu verschwinden: Plötzlich sind keine Fliegen, Falter, Wespen oder Bienen mehr zu sehen, allenfalls Mücken tanzen an milden Winterabenden in der Luft, und gelegentlich lässt sich der eine oder andere Eulenfalter abends an der erleuchteten Fensterscheibe blicken. Aber wo sind die anderen alle hin? Tot? In weiten Teilen trifft das zu, denn viele Insekten sterben im Herbst – aber nicht ohne vorher für Nachwuchs gesorgt zu haben. Solche Arten überwintern dann als Ei, Larve oder Puppe. Es gibt aber durchaus auch einige Arten, die als erwachsene Geschlechtstiere (Imagines) den Winter überstehen. Aber egal, ob sie als Ei, Larve, Puppe oder Imago durch den Winter kommen müssen, ohne Strategien zum Schutz vor der Eiseskälte kommt keine Art aus. Um die 33.000 Arten gehören zum Unterstamm der Sechsfüßer, zu denen auch die Insekten zählen.
Weil Insekten zu den wechselwarmen Tieren gehören, hängen bei ihnen Körpertemperatur und Aktivität von der Umgebungstemperatur ab: Je wärmer, desto aktiver und umgekehrt. Deswegen suchen sich viele von ihnen im Herbst oder spätestens beim ersten großen Kälteausbruch geeignete Winterquartiere – sie nehmen also gewissermaßen eine „Auszeit“. Dieses Verhalten ist bei ihnen genetisch vorgeschrieben. Dabei hilft ihnen oftmals ein natürliches Frostschutzmittel im Körper, das meist aus Zuckern oder Eiweißen besteht.
Wo sind Käfer im Winter?
Viele der 8.000 Käferarten Europas suchen sich im Herbst einen geschützten Ort: Hinter der Rinde eines abgestorbenen oder morschen Baumes, in Ritzen, Öffnungen und Spalten alter Hauswände, Felsen, Mauern, unter Laub oder im Boden vergraben, sind sie vor Frost einigermaßen geschützt. Aber das alleine reicht nicht, weswegen viele Insekten ein Frostschutzmittel im Körper haben, oft Glycerin, ein Zuckeralkohol. Das zähe, farblose Glycerin senkt den Gefrierpunkt von Wasser, weswegen sich in den Körperflüssigkeiten im Käferkörper nicht so leicht Eiskristalle bilden können, die das Tier töten würden. Marienkäfer können so Temperaturen von minus zehn Grad überdauern. In ihrer Winterstarre wirken die Käfer auf den ersten Blick wie tot. Wer einen starren Marienkäfer entdeckt, sollte ihn in Ruhe lassen – wenn er „aufwacht“, würde er nur verhungern. Steigen im Frühjahr die Temperaturen, „fährt“ der Käferkörper seine Funktionen wieder hoch. Übrigens überwintern viele Marienkäferarten, anders als andere Käfer, in Gruppen. So können sich die Tiere im Frühling schneller paaren – ohne viel Zeit und Energie für die Partnersuche verschwenden zu müssen.
Wo sind Ameisen im Winter?
Das große Krabbeln aus Frühjahr und Sommer kommt in jedem Herbst zum Erliegen. Die 100.000 oder mehr Tiere eines Staates der Roten Waldameise etwa ziehen für die kalte Jahreszeit in ihr „Winterlager“ um. Das liegt frostsicher oft mehrere Meter unterhalb des Ameisenhaufens im Erdboden. Jeder Staat errichtet dafür in mühevoller Grabungsarbeit ein weit verzweigtes Nest aus Tunneln und Kammern. Darin halten sich Arbeiterinnen und Königin auf – jedoch weder Eier, Larven, Männchen noch neue weibliche Tiere. Dabei werden die Eingänge zum Nest verschlossen, und der ganze oberirdische Teil des Nesthügels dient als zusätzlicher Schutz vor Frost. Trotzdem kann die Temperatur auch im Winterlager unter null Grad sinken. Weil die Ameisen aber, wie auch die Käfer, in Winterstarre verfallen und ihre Bewegungen, wenn überhaupt, auf das Allernötigste beschränken und sie nicht fressen, macht ihnen die Kälte nichts aus. In Sibirien überdauert eine Ameisenart sogar Werte von unter minus 40 Grad Celsius. Bei steigenden Temperaturen im Frühjahr beginnt es dann wieder, das große Krabbeln.
Wo sind Wespen im Winter?
Für all jene Menschen, die sich vor Wespen fürchten, ist der Winter eine gute Jahreszeit. Wespen sterben nämlich fast alle, vor allem die Arbeiterinnen. Wenn im Spätherbst ihre letzten Nahrungsquellen nach und nach versiegen – sie fressen Nektar, Pollen, Steinfrüchte, Pflanzensäfte und andere Insekten – verhungern die Wespen oder sterben den Kältetod, und auch die alte Königin überlebt nicht. Mit ihrem Tod löst sich der Wespenstaat auf – einzelne Tiere haben dann keine Chance mehr. Aber nicht alle Wespen kommen um. Denn sonst würde es im nächsten Jahr ja gar keine Schwarzgelben mehr geben. Sobald es im Herbst kälter wird, suchen sich die Jungköniginnen, die zuvor von den Wespendrohnen begattet und mit einem großen Spermavorrat versorgt wurden, der ihr ganzes Leben über ausreicht, ein gegen Feuchtigkeit und Kälte geschütztes Versteck: Das kann morsches Holz sein, Mauerspalten und Hohlräume unter Rinden oder Moos. Wie die anderen hier vorgestellten Insektenfamilien schaltet auch die Wespenkönigin im Winter in den Energiesparmodus um und verfällt in Winterstarre – inklusive eingebautem Frostschutzmittel. So ist sie in der Lage, bis zu sechs Monate zu überstehen. Im nächsten Frühjahr erwacht die junge Königin und beginnt an geeigneter Stelle mit dem Nestbau, legt Eier – und gründet so den nächsten Wespenstaat.
Wo sind Honigbienen im Winter?
Arbeiterinnen im Bienenstaat werden normalerweise nur etwa sechs bis acht Wochen alt. Im Winter aber gibt es im Bienenvolk regelrechte Methusalems, die ein halbes Jahr oder länger leben können. Sinn und Zweck dessen ist es, das Überleben der Königin zu sichern. Denn nur die kann Eier legen und so den Fortbestand des Volkes sichern. Stirbt die Königin, bedeutet dies langfristig den Tod des Volkes. Diese Winterbienen bilden – um die Königin in der Mitte herum – eine sogenannte Wintertraube. Bei dieser Überwinterungsgemeinschaft sitzen einige Bienen auf den Waben, und an ihnen halten sich dann die anderen Bienen fest. Je weiter außen Tiere in dieser Bienentraube sitzen, umso enger rücken diese zusammen. Die innen sitzenden Bienen bewegen ständig ihre Flügel und erzeugen so Wärme, die, geschützt durch die äußeren Bienen, nicht entweichen kann. Ganz im Inneren befindet sich die Königin, die durch diese Art der Heizung bei etwa 20 bis 25 Grad warm gehalten wird. Damit die äußersten Bienen der Wintertraube nicht auskühlen oder gar erfrieren, tauschen die Insekten ständig die Plätze, von außen nach innen und umgekehrt. Während dieser Zeit ernähren sich die Bienen von den im Sommer angelegten Honigvorräten, womit sich die Tiere gegenseitig füttern, damit jedes Tier versorgt ist. Hat der Imker ihnen im Herbst den Honig „geklaut“ und ihn durch Zuckerwasser ersetzt, verfüttern die Bienen eben das Zuckerwasser an sich und ihre Nachbarn in der Traube.
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