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Ab in den Süden!

Die größte Tierwanderung der Erde ist der Vogelzug. Doch wie finden die Tiere eigentlich ihren Weg? Forscher fanden Erstaunliches heraus – Und haben noch nicht längst nicht alle Geheimnisse gelüftet.


Text: Robert Lücke

Wenn der Sommer alt und schwach wird, beginnt sie wieder – die außerhalb der Weltmeere größte Tierwanderung unseres Planeten. Im Spätsommer, teilweise schon früher, begeben sich Zigmillionen Zugvögel auf ihre oft lange Reise. Seit jeher zieht der Vogelzug die Menschen in ihren Bann. Die Leistung, die viele Vogelarten dabei vollbringen, verschlägt einem schier den Atem: Wie schaffen es Tiere, manche nur wenige Gramm leicht, Tausende von Kilometern über Wüsten, Gebirge, gar Ozeane und durch schlimmste Stürme zu fliegen, bei Tag und Nacht und dabei genau ihren Weg zu kennen? Weltrekordhalter ist die gerade mal taubengroße Küstenseeschwalbe. Sie schafft in einem Jahr den Weg vom Nordpol zum Südpol und zurück, 25.000 Kilometer hin, 25.000 Kilometer zurück. Aber woher wissen die Vögel überhaupt, wann sie losfliegen müssen und wohin genau? 

Peter Berthold sieht mit seinem langen weiß-grauen Bart aus wie ein gemütlicher Großvater. Doch statt Ruhestand treibt den Professor und früheren Leiter der Vogelschutzwarte Radolfzell seit Jahrzehnten eine Frage um: Womit genau navigieren Zugvögel? „Was wir heute wissen, ist, dass Vögel mindestens drei Kompasse haben: einen für die Sonne, einen für die Sterne und einen dritten, den Magnetkompass“, sagt der 76-Jährige.

Bereits 1882 postulierte ein Wissenschaftler, dass Vögel mithilfe des Erdmagnetfeldes ihren Weg finden könnten. Fest steht: Sperrt man Zugvögel in einen Käfig, kann man bei ihnen etwas beobachten, das Fachleute „Zugunruhe“ nennen. Die Vögel flattern in ihrem Gefängnis nervös hin und her. Das tun die Tiere in Herbst und Frühjahr selbst dann, wenn sie es gemütlich warm haben und der Futternapf gut gefüllt ist. Offenbar haben die Tiere also eine innere Uhr. Ihr Zugdrang richtet sich, abgesehen von dieser „Uhr“, vor allem nach der Tageslänge. Werden die Sonnenstunden weniger, möchte der Vogel nach Süden fliegen. Schon 1966 sperrte der Biologe Wolfgang Wiltschko im Zoologischen Institut der Frankfurter Goethe-Uni zugunruhige Rotkehlchen in abgeschirmte Käfige und setzte die Vögel künstlichen Magnetfeldern aus, die er in verschiedene Richtungen drehte. Die Vögel fielen auf die Täuschung herein – sie orientierten sich immer in die vermeintliche Zugrichtung. Neuere Forschungen bestätigen dies zumindest teilweise. Das Ganze ist allerdings etwas komplizierter. Demnach sieht der Vogel vielleicht eine Art imaginäre oder tatsächliche „Karte“ vor und unter sich und kann diese als Kompass, vielleicht sogar zur Navigation, benutzen. Man müsste sich das Ganze in etwa wie folgt vorstellen: Könnte ein Mensch dasselbe, sähe er am Himmel vermutlich ein Netz aus Gitterlinien. Diese Gitterlinien sind Magnetfeldlinien. An den Polen verlaufen die Magnetfeldlinien senkrecht, am Äquator parallel zur Erdoberfläche. Der Neigungswinkel der Magnetfeldlinien relativ zur Erdoberfläche ist je nach geographischer Breite unterschiedlich – je nach dem, wie weit entfernt oder nah man sich an den Polen oder dem Äquator befindet. Die Richtung der Linien in Bezug auf die Erdoberfläche wird als Inklination bezeichnet. Wer nun einen solchen Inklinationskompass besitzt, weiß also, wo er ist – der Kompass liefert dem Vogel eine Information über den Breitengrad, an dem er sich befindet. Dabei unterscheidet der Kompass nicht zwischen magnetischem Nord- und Südpol, sondern zwischen „polwärts“ und „äquatorwärts“. Da die Öffnung des Inklinationswinkels auf beiden Erdhalbkugeln immer in Richtung des am nächsten liegenden Pols und die Spitze zum Äquator zeigt, funktioniert der Inklinationskompass auf beiden Erdhalbkugeln gleich gut. Aber wo genau sitzt dieser Kompass im Vogel? Auf eine Fährte kamen Forscher, die eine Gartengrasmücke – der Singvogel zieht nachts – während der Zugzeit im Frühling und Herbst im Labor in einen runden Orientierungskäfig setzten. Als es abends dunkel wurde, begann der Vogel, seinen Kopf immer wieder von links nach rechts zu drehen und hüpfte schließlich mit regelmäßigen Kopfdrehungen unruhig im Käfig herum – in Richtung auf das angestrebte Zugziel, sein Winter- oder Sommerquartier. Daraus folgerten die Wissenschaftler, dass die Magnetrezeptoren im Vogelkopf sitzen müssten. Ihre Hypothese: Der Vogel „scannt“ gewissermaßen das Erdmagnetfeld, um seine magnetische Referenzrichtung zu finden. Schalteten die Forscher nämlich mit Hilfe von Magnetspulen künstlich das natürliche Erdmagnetfeld im Käfig aus, hüpfte die Grasmücke nicht nur desorientiert in alle Himmelsrichtungen, sondern steigerte auf der Suche nach der fehlenden Magnetinformation auch die Anzahl der Kopfdrehungen um das Dreifache. Aber wo im Kopf könnten entsprechende Rezeptoren liegen? Mit Hilfe spezieller molekularbiologischer Sonden fahndete Henrik Mouritsen von der Animal Navigation an der Universität Oldenburg zusammen mit den Neurobiologen Reto Weiler und Ulrike Janssen-Bienhold auf hauchdünnen Querschnitten von Netzhäuten aus dem Vogelauge nach Blaulichtrezeptoren, sogenannten Cryptochromen. Die Vertreter dieser Molekülgruppe gelten aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften als die Spitzenkandidaten unter den potenziellen Magnetrezeptormolekülen. Und tatsächlich fanden die Wissenschaftler bei den Grasmücken in den Fotorezeptoren und Ganglienzellen (das sind bestimmte Nervenzellen-Typen der Netzhaut) Cryptochrome in hoher Konzentration. In den Ganglienzellen waren zwei Eiweiße nachts, wenn die Gartengrasmücken ziehen, besonders reichlich vorhanden. Die Ganglienzellen waren also hoch aktiv und sendeten Informationen ans Vogelhirn. Bei nicht ziehenden Zebrafinken hingegen waren die Zellen kaum oder gar nicht aktiv und enthielten obendrein fast oder gar keine der entsprechenden Eiweiße. „Der auffällige Unterschied zwischen Zugvögeln und Nicht-Ziehern spricht dafür, dass Cryptochrome die gesuchten Magnetrezeptormoleküle sein könnten und dass die Ganglienzellen die Magnetinformation von der Netzhaut an das Gehirn weiterleiten“, schreiben Mouritsen und Julia Stalleicken von der Uni Oldenburg. 

Demnach säßen die Rezeptoren für die lange Reise der Vögel im Auge. Das aber glauben nicht alle Forscher. Die Frankfurter Neurobiologen Günther und Gerta Fleissner fanden in den Oberschnäbeln verschiedener Arten, vom Haushuhn bis hin zu Rotkehlchen und Grasmücken, sogenannte Magnetite, eisenhaltige Nervenzellen, auch Neurone genannt, mit denen sich wohl auch Schnecken und Bienen orientieren. Dieser Befund ist erstaunlich, weil die untersuchten Vögel eine sehr unterschiedliche Lebensweise haben und vielfältige Orientierungsaufgaben lösen müssen: Brieftauben, die geübt sind, von unterschiedlichen Orten zum Heimatschlag zurückzufinden, Kurzstreckenzieher wie das Rotkehlchen, Langstreckenflieger wie die Grasmücke und ortstreue Vögel wie die Haushühner. Mit Hilfe der Magnetiten bilde sich im Vogelhirn eine Art Magnetkarte, mit deren Hilfe das Tier navigiere, sind die Fleissners überzeugt. Auch Roswitha Wiltschko glaubt daran. Zusammen mit ihrem Mann Wolfgang hatte sie in Experimenten die mutmaßlichen Magnetfeld-Sensoren betäubt, indem sie den Vögeln eine Tinktur auf den Schnabel strich. Dabei orientierten sich die manipulierten Tauben deutlich anders als Kontrolltiere. Alle Ergebnisse sprächen dafür, dass die von den Fleissners identifizierten Strukturen als Magnetfeld-Sensoren dienen, meint Wiltschko. Pikanterweise sagen andere Wissenschaftler das genaue Gegenteil. Das Team um Henrik Mouritsen nämlich kappte den Trigemus-Nerv, die einzige Verbindung zwischen Magnetiten im Schnabel und dem Vogelhirn – trotzdem flogen die Tiere auf gewohnter Route ihrem Ziel entgegen. Anscheinend spielen die Magnetiten nicht die Rolle, an die man bislang geglaubt hat. Auch David Keays von der Universität Wien, der 200 Tauben genau in die Schnäbel guckte, hat seine Zweifel. Demnach sind die eisenmineralhaltigen Zellen gar keine Neuronen, sondern weiße Blutzellen, sogenannte Makrophagen, und anders als Neuronen sind Makrophage nicht elektrisch erregbar – und könnten deshalb auch nicht als magnetische Sinneszelle dienen. Was folgte, war ein waschechter Gelehrtenstreit: Die Fleissners verteidigten ihre Sichtweise, Keays konterte, Magnetiten gebe es auch im Atemtrakt und in der Haut, was wiederum ebenfalls gegen die Theorie spräche, dass nur Magnetiten im Schnabel der Navigation dienten. Auch Henrik Mouritsen glaubt, dass die bisherigen Annahmen überholt seien. Ob Vögel nun mit dem Auge oder dem Schnabel, ob mit oder ohne Magnetite navigieren, weiß also niemand ganz genau. 

Auch beim Sternenkompass wissen die Forscher noch längst nicht alles. Offenbar können sich Vögel an Sternen orientieren, wie Experimente mit Versuchtstieren unter einem künstlichen Sternenhimmel im Planetarium gezeigt haben: Dabei verloren die Vögel im Planetarium die Orientierung, wenn alle Sterne in einem Bereich von 35 Grad um den Polarstern herum ausgeschaltet wurden. Dieses Navigationsvermögen hatten nach Untersuchungen aber nur jene Tiere, die während ihrer Jugendzeit und vor der Zugperiode den Sternenhimmel beobachten konnten. „Der Sternenkompass ist also wohl nicht angeboren“, folgert Zugforscher Berthold. Wie weitere Forschungen von Mouritsen und Kollegen ergaben, ist nachts, bei schwachem Sternen- und Mondlicht, im Gehirn von nachts ziehenden Singvögeln ein besonderes Hirnareal, Cluster N (N für Nacht-Aktivierung) genannt, hoch aktiv. Tagsüber bleibt es in Cluster N hingegen ruhig. Daher vermuten die Wissenschaftler, dass darin spezielle Nachtsichtinformationen ausgewertet werden, möglicherweise Magnet- und Sternenkompassinformationen.

Tagsüber nutzen die Tiere noch den Sonnenkompass. Startet ein Zugvogel morgens seinen Flug Richtung Winterquartier, muss er die Sonne links von sich haben, mittags vor sich und nachmittags rechts von sich. Dann fliegt er zielsicher gen Süden. Und bei bedecktem Himmel? „Trat die Richtungspräferenz nicht auf“, schreibt Peter Berthold. Er vermutet darüber hinaus, dass Vögel polarisiertes Himmelslicht wahrnehmen und zur Orientierung nutzen. Dem widerspricht  Vogelzugforscher Henrik Mouritsen: „Dass Vögel polarisiertes Licht (es tritt in Sonnennähe auf, Anm.d.Red.) zur Orientierung nutzen können, ist nicht bewiesen.“ Fest steht jedenfalls eins: Der schiere Drang, sich auf den Zug zu begeben, ist wohl unabhängig davon, wie gut welcher Kompass funktioniert. Auch wohin es gehen soll, wissen die meisten Vögel von Geburt an. Bei anderen, etwa manchen Kranich-Arten aber, folgen die Jungvögel im Herbst ihren Eltern instinktiv auf dem Weg in den Süden – so wird das genaue Zugziel auf die nächste Generation übertragen. Dabei sind einige Kranicharten ziemlich wählerisch, was ihr Winterquartier angeht. So überwintern Große Schreikraniche, die in Kanada brüten, in einem winzig kleinen Gebiet bei Corpus Christie am Golf von Mexiko, und sibirische Schneekraniche ziehen im Winter in ein kleines Naturschutzgebiet beim indischen Dehli. Würden die jungen Kraniche nicht zusammen mit ihren Eltern nach Süden fliegen, fänden sie die kleinen Areale alleine wohl nur zufällig. „Lediglich die grobe Zugrichtung ist ihnen angeboren, aber nicht der exakte Ort“, sagt Berthold, der das bei einem Experiment mit Weißstörchen herausfand. Zusammen mit Kollegen verfrachtete er süddeutsche Jungstörche im Spätsommer in die Nähe des russischen Omsk. Die Tiere starteten von Sibirien zwar in Richtung Süden, aber eben viel weiter östlich – und landeten auch weiter östlich in Afrika als die in Süddeutschland abgeflogenen Vögel.

Außer Sonne, Sternen und Magnetfeldern könnte Vögeln möglicherweise noch ein vierter Kompass helfen – einer, der über den Geruchssinn funktioniert. Auch um jenen vierten Kompass ist in der Wissenschaft eine Kontroverse entbrannt. Der italienische Wissenschaftler Floriano Papi forschte jahrzehntelang an Brieftauben, durchtrennte oder betäubte ihre Geruchsnerven, setze sie künstlichen Luftströmungen aus, kurz er probierte alles Mögliche aus – und kam zu dem Schluss, die Tauben fänden ihren Weg über Duftstoffe, genau genommen über regional unterschiedliche Duftfelder, die durch Vegetation und Bodenart variierten. Andere Forscher wie Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell und sein Kollege Richard Holland spülten die Nasenschleimhäute von Vögeln mit einer Salzlösung aus, sodass die Tiere zwei Wochen lang nicht mehr riechen konnten. Das Ergebnis: Die Vögel flogen in die völlig falsche Richtung. Wie genau die Tiere sich mit Hilfe des Geruchs orientieren, versuchen Forscher seit Langem herauszufinden. Vielleicht riechen die Vögel Meeres-, Gebirgs- oder Wüstenluft, wissen so ihren Standort und finden den Weg. Das würde eventuell erklären, warum Zugvögel, die von Menschen in Experimenten Tausende von Kilometern östlich ihres Brutortes freigelassen wurden, im Herbst trotzdem den Weg in ihr Winterquartier finden. Die Tiere bemerken offenbar die Veränderung und berechnen ihre Zugroute und Distanz neu. Statt geradewegs nach Süden, fliegen sie nach Südwesten. Allerdings konnten das nur erwachsene, erfahrene Tiere, und tatsächlich auch nur dann, wenn ihr Geruchssinn einwandfrei funktionierte. Wird er vom Menschen manipuliert, geht die Reise stur nach Süden, ebenso bei Jungvögeln, die den Weg gen Süden zum ersten Mal in ihrem Leben antreten. Auch sie machen den Umweg nicht und landen auf demselben Breitengrad, nur viel weiter östlich. Erst im zweiten Winter finden sie den richtigen Platz ihrer Vorfahren. Warum? Die Forscher wissen es nicht. Peter Berthold sagt: Ob olfaktorische Orientierung bei Zugvögeln eine Rolle spiele, bleibe ungewiss. 

In jedem Fall ist den Vögeln der Zugtrieb angeboren. Im Käfig isoliert von den Eltern gehaltene Jungvögel fangen bereits frühzeitig an, ihre Nahrungsaufnahme zu steigern – oft um bis zu 40 Prozent. Die dabei entstehenden Fettreserven sind für den Zug ins Winterquartier zwingend notwendig. Viele Arten, die sonst Insekten fressen, konzentrieren sich nun auf kohlenhydratreiche Beeren und Früchte, um ihre Fettdepots zu vergrößern. Dabei gibt es große Unterschiede. Macht bei nicht ziehenden Arten der Fettgehalt des Körpers nur etwa drei bis fünf Prozent aus, liegt er bei Mittelstreckenziehern bei zehn bis 25 Prozent, bei Langstreckenziehern sogar bei bis zu 50 Prozent des Körpergewichts. Auch beim Verhalten gibt es zur Zugzeit Veränderungen. Schwalben sammeln sich, bestimmte Finkenarten und Pieper werden in Spätsommer sowie Herbst gesellig und streifen oft in artübergreifenden Schwärmen umher. Kraniche und Gänse ziehen vielfach in lockerer Folge hintereinander her zu Rastgebieten. Aber woher wissen Vögel all das? Gibt es vielleicht gar ein einzelnes „Vogelzughormon“, das den Tieren quasi befiehlt, ihre Reise anzutreten und hierfür die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen? Peter Berthold glaubt nicht daran. Es sei aber wahrscheinlich, dass Testosteron beim Heimzug eine Rolle spiele. Doch welche genau, und ob das bei allen Arten so ist, weiß man (noch) nicht. 

Früher glaubte man, dass sich Vögel an markanten Landschaften orientieren – Flüssen, Gebirgen, Meeren und anderem. Das wurde in der Folgezeit von Forschern mal verworfen, dann wieder als „gut möglich“ angesehen. Ein weiteres Experiment der Radolfzeller Wissenschaftler zeigt nun, dass es nicht undenkbar ist. Dazu hatten die Zugforscher ziehende Rotkehlchen eingefangen und einem künstlichen, magnetischen Puls ausgesetzt. Danach ließen sie die Tiere, nun ausgestattet mit kleinen  Radiotransmittern, um die Flugrichtung nachvollziehen zu können, wieder frei. Dabei unterschieden die Forscher zwischen älteren Vögeln, die schon einmal in den Süden gezogen waren, und jüngeren, denen die erste große Reise gerade bevorstand. Die erwachsenen Vögel flogen nach der Magnet-Behandlung sehr viel öfter in die falsche Richtung los als die Tiere der Kontrollgruppe, die einem nicht-magnetischen Puls ausgesetzt waren. Am stärksten trat dieser Effekt bei Vögeln auf, die innerhalb von zehn Tagen nach der Behandlung losflogen. „Der Puls hat wohl die magnetischen Karten der Rotkehlchen zurückgesetzt“, mutmaßt Richard Holland vom Max-Planck-Institut in Radolfzell. „Sie mussten sich deshalb auf andere Umweltinformationen verlassen und verflogen sich dann.“ Dies würde auch erklären, wieso bei gleicher Behandlung der Jungtiere keine Verschlechterung der Peilung auftrat. „Die jungen Vögel waren noch nie migriert und hatten deshalb auch noch keine magnetische Karte aufgebaut, die wir zurücksetzen konnten“, erklärt Holland. Der Magnetsinn der Rotkehlchen wird demnach maßgeblich durch die Erfahrungen beim Vogelzug beeinflusst – welche das sind, ist aber nach wie vor ungeklärt. 

Viele Fragezeichen bleiben also. Recht gut erforscht ist hingegen, wie Vögel mit Zugbarrieren wie Gebirgen, Meeren, Wüsten und Schlechtwetterfronten umgehen. Bei ungünstigem Wetter, etwa extrem starken Gegenwinden, kommt es oft zu Zugstaus. Die Tiere landen und warten auf günstigere Winde. Beobachtet wird dies regelmäßig entlang von Gebirgen und an Zugtrichtern wie der Straße von Gibraltar oder dem Bosporus. Oft verdriften Winde Zugvögel aber auch auf viel weiter westlich oder östlich gelegene Routen. Bei Schlechtwetterfronten kommt es oft zu Notlandungen. Landvögel wandern daher meist soweit wie möglich über Land, da ihnen eine Notlandung auf offener See mit dem anschließenden Start so gut wie unmöglich ist. Bei den Transsahara-Ziehern beobachteten Forscher, dass nur etwa ein Viertel in der Wüste landet, meist tagsüber, und die Hitze in Schatten von Steinen verbringt, um dann nachts weiterzuziehen. 75 Prozent aber überqueren die riesige Wüste wohl im Nonstopflug. Hohe Gebirge stellen an manche Vögel besondere Anforderungen: Wie können Vögel, etwa Streifengänse, die den Himalaya in bis zu zehn oder zwölf Kilometern Höhe überqueren, in dieser Höhe mit der dünnen Luft noch atmen, ohne an Hypoxie (Unterversorgung mit Sauerstoff) zu leiden – wenn Säugetiere schon bei Bedingungen von etwa der halben Höhe der Höhenkrankheit verfallen? Vögel haben andere Lungen – bei ihnen durchmischt sich die eingeatmete Luft, anders als bei Säugern, nicht mit der verbrauchten Restluft. So können Vögel den Sauerstoff aus der Atemluft effizienter ausschöpfen, und obendrein ist das Vogelherz doppelt so groß wie das der Säugetiere – und pumpt das Blut mit entsprechend höherem Schlagvolumen in den Körper. Außerdem haben Streifengänse und Sperbergeier mehrere Hämoglobinformen (Eiweiße, die in den roten Blutkörperchen Sauerstoff bindet) – in großen Höhen ist bei ihnen die Sauerstoffversorgung deswegen besser gesichert.

In der Ausgabe 21 von NATURGUCKER lesen Sie: Wieso reicht dem Zilpzalp Spanien, wohingegen der Kuckuck ins tropische Afrika fliegen muss? Ändern sich Zugwege und -Distanzen? Und wird es künftig überhaupt noch Zugvögel geben?

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